Volkswirtschaftiche Gesamtrechnung

1. Einführung in das Thema

Auf der Basis des Wirtschaftskreislaufs haben wir bisher folgenden Zusammenhang festgestellt:
Die Wirtschaftssubjekte – private Haushalte, Unternehmen, Staat, Ausland  - haben Bedürfnisse, die ihre Nachfrage begründen. Die Nachfrage der Wirtschaftssubjekte nach Gütern und Dienstleistungen führt zur Produktion. Für die Produktion benötigen die Unternehmen Produktionsfaktoren, für die sie Ausgaben haben, die anderen Wirtschaftssubjekten als Einnahmen (Einkommen) zufließen.

Der gesamte Produktionsvorgang weist demnach zwei Aspekte auf:
Um Zahlen darüber zu gewinnen, wurde die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) in Form eines gesamtwirtschaftlichen Kontensystems entwickelt. Die Erhebungen werden durch das Statistische Bundesamt auf der Grundlage des verbindlichen Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) durchgeführt. Dieses System ist für alle Mitgliedsländer der EU verbindlich.
"Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen (VGR) sind die Zusammenfassung mehrerer Strom- und Bestandsrechnungen, die das wirtschaftliche Geschehen in einer abgelaufenen Periode darstellen. Die VGR bestehen aus der Inlandsproduktsberechnung, der Input-Output-Rechnung, der Finanzierungs-, der Arbeitsvolumen- und der Vermögensrechnung. Weitere Sachverhalte werden teilweise in sogenannten Satellitensystemen (z.B. Haushaltsproduktion, Umwelt) abgebildet. In etwa fünf- bis zehnjährigen Abständen finden große Revisionen der Ergebnisse statt". (www.destatis.de)
 
Durch die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung soll das Wirtschaftsgeschehen einer Volkswirtschaft für eine abgelaufene Periode erfasst werden. Die gewonnenen Informationen dienen als Grundlage für wirtschaftspolitische Entscheidungen. Sie zeigen auf, wo die Wirtschaft gegenwärtig steht, ob die wirtschaftspolitischen Ziele (siehe Kapitel "Magisches Viereck") erreicht sind und ob Handlungsbedarf besteht. 
Die VGR liefert wichtige Orientierungsgrundlagen.

Aufbauend auf dem gesamtwirtschaftlichen Kontensystem können die Verflechtungen einer Volkswirtschaft untersucht werden. Dies geschieht mit der Input-Output-Analyse. "In der Input-Output-Rechnung werden ebenso wie in der Inlandsproduktsberechnung die Produktion von Waren und Dienstleistungen und ihre Verwendung sowie die im Produktionsprozeß entstandenen Einkommen dargestellt. Während die Inlandsproduktsberechnung vor allem auf die Darstellung von Marktvorgängen ausgerichtet ist, zielt die Input-Output-Rechnung auf einen detaillierten Nachweis der güter- und produktionsmäßigen Verflechtungen zwischen den Bereichen der Volkswirtschaft und mit der übrigen Welt ab. Die Darstellungseinheiten in den Input-Output-Tabellen werden nach produktionsrelevanten Merkmalen abgegrenzt. Einen Übergang von den Ergebnissen der Inlandsproduktsberechnung zu Ergebnissen der Input-Output-Rechnung und umgekehrt ermöglichen die Aufkommens- und Verwendungstabelle. Wichtige Verwendungszwecke der Input-Output-Rechnung sind die Erforschung des Strukturwandels sowie Modellrechnungen im Rahmen der Input-Output-Analyse." (siehe www.destatis.de)

2. Grundbegriffe

Die bestimmenden Begriffe der VGR sind das Bruttoinlandsprodukt (BIP) und das Bruttosozialprodukt (BSP).
 

Beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst man die Summe der Güter und Dienstleistungen, die in den Grenzen eines Landes (oder einer Verwaltungseinheit) in einem bestimmten Zeitraum, in der Regel in einem Jahr, hergestellt werden. Es wird nach dem Inlandsprinzip ermittelt.

Unter Bruttosozialprodukt (BSP) versteht man die Summe der Güter und Dienstleistungen, die von den ständigen Einwohnern eines Landes in einem bestimmten Zeitraum, in der Regel in einem Jahr, hergestellt werden. Es wird nach dem Inländerprinzip  erhoben. Man spricht auch vom Bruttonationaleinkommen.

Das Bruttoinlandsprodukt unterscheidet sich definitionsgemäß vom Bruttosozialprodukt durch den Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkommen an das Ausland und vom Ausland. Zur Ermittlung des BSP werden vom BIP die Löhne, Zinsen und dgl. (= Primäreinkommen), die ins Ausland fließen, abgezogen und die Löhne, Zinsen u. dgl., die von Deutschen im Ausland verdient wurden, hinzugezählt.
 

Inlandsprodukt
Inlandsprodukt
+ Saldo aus Erwerbs- und Vermögenseinkommen zwischen Inland und Ausland
-  Inlandseinkommen von Ausländern
+ Auslandseinkommen von Inländern
= Sozialprodukt
= Sozialprodukt

3. Berechnungsmethoden


Entstehungsrechnung
erfasst die wirtschaftliche Leistung einer Periode nach ihren Quellen, d.h. nach den Wirtschaftsbereichen:
Produzierendes Gewerbe
Baugewerbe
Handel, Gastgewerbe und Verkehr
Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleister
Öffentliche und private Dienstleister
Sonstige Wirtschaftsbereiche
Bruttoinlandsprodukt
- Abschreibungen (= Ersatzinvestitionen)
= Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen
- Nettoproduktionsabgaben (Indirekte Steuern - Subventionen)
= Nettoinlandsprodukt zu Herstellungspreisen (Nettowertschöpfung)
+ Abschreibungen
= Bruttowertschöpfung

Vom Bruttoinlandsprodukt wird gesprochen, weil in dieser Messgröße die Bruttoinvestitionen enthalten sind. Das sind die gesamten Investitionen einer Volkswirtschaft während einer Periode. Sie setzen sich aus Ersatzinvestitionen ( Ab- schreibungen) und den zusätzlichen Investitionen (Erweiterungsinvestitionen) zusammen. Die Erweiterungsinvestitionen (auch Nettoinvestitionen genannt) vergrößern den Anlagenbestand und damit die Kapazität einer Volkswirtschaft.


Verwendungsrechnung
ermittelt  für welche Zwecke das Bruttoinlandsprodukt ausgegeben wurde:
Private Konsumausgaben
Konsumausgaben des Staates
Bruttoinvestitionen 
(Ausrüstungen, Bauten, sonstige Anlagen, Vorratsveränderungen)
= Inländische Verwendung
Außenbeitrag (Exporte - Importe)
Bruttoinlandsprodukt


Verteilungsrechnung
ermittelt die Aufteilung des Volkseinkommens auf das Arbeitnehmerentgelt und das Unternehmens- und Vermögenseinkommen einschließlich des Saldos der Primäreinkommen (vom Ausland bezogenes Einkommen minus dem Ausland zugeflossenes Einkommen) aus der übrigen Welt.


Arbeitnehmerentgelt 
von den Unternehmen und dem Staat kommend 
Unternehmens- und Vermögenseinkommen
Volkseinkommen
+ Transferzahlungen an die Haushalte
= Privates Einkommen
- direkte Steuern
= Verfügbares privates Einkommen

Der prozentuale Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Volkseinkommen wird als Lohnquote bezeichnet. Der prozentuale Anteil der Unternehmer- und Vermögenseinkommen (Zinsen, Mieten, Pachten) heißt Gewinnquote.
 

Volkseinkommen
- Saldo der Primäreinkommen aus der übrigen Welt 
=  Nettoinlandsprodukt zu Herstellungspreisen
+ Nettoproduktionsabgaben (Indirekte Steuern - Subventionen)
= Nettoinlandsprodukt zu Marktpreisen
+ Abschreibungen (= Ersatzinvestitionen)
Bruttoinlandsprodukt


4. Auszüge aus der amtlichen Statistik (Quelle: Statistisches Bundesamt - www.destatis.de)
 

Gegenstand in Mrd. Euro
1999
2000
2001
Bruttowertschöpfung  1 838,32 1 886,03 1 920,60
Land- und Forstwirtschaft; Fischerei
    21,70
22,00
23,25
Produzierendes Gewerbe ohne Baugewerbe
453,09
477,33
483,77
Baugewerbe
100,64
95,92
90,96
Handel, Gastgewerbe und Verkehr
 321,85
333,05
342,71
Finanzierung, Vermietung u. Untern.dienstl.
546,69
560,47
575,37
Öffentliche und private Dienstleister
394,35
397,26
404,54
Bruttoinlandsprodukt (in jeweiligen Preisen) 1 974,30 2 025,50 2 063,00
Konsumausgaben  1 527,96 1 567,30 1 611,28
- Private Haushalte 1 112,16 1 144,02 1 178,20
- Private Organisationen
37,40
38,81
39,91
- Staat
378,40
384,47
393,17
Bruttoanlageinvestitionen
429,53
450,23
412,64
Inländische Verwendung von Gütern  1 957,49 2 017,53 2 023,92
Außenbeitrag(Exporte minus Importe) 
16,81
7,97
39,08
- Exporte
586,57
683,27
 721,40
- Importe 
 569,76
675,30
682,32
Bruttoinlandsprodukt (in jeweiligen Preisen) 1 974,30
2 025,50
2 063,00
+ Saldo d. Primäreinkommen aus der übrigen Welt 
-12,29
-7,64
-8,43
Bruttosozialprodukt (Bruttonationaleinkommen)
1 962,01
2 017,86
2 054,57
- Abschreibungen
291,55
302,53
312,21
= Nettonationaleinkommen (Primäreinkommen) 1 670,46 1 715,33 1 742,36
- Produktions- und Importabgaben
 241,40
 244,38
246,28
+ Subventionen
35,11
34,86
 35,03
 = Volkseinkommen 1 464,17 1 505,81 1 531,11
Arbeitnehmerentgelt  1 058,29 1 089,24 1 109,74
Unternehmens- und Vermögenseinkommen
405,88
416,57
421,37



Grafik wurde entnommen dem „Wirtschaftsüberblick“ des Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Ausgabe 1/2002 unter www.bmwi.de

5. Inlandsprodukt bzw. Nationaleinkommen als Messgrößen der gesamtwirtschaftlichen Tätigkeit

5.1 Zeitvergleich
Das Bruttoinlandsprodukt bzw. das Bruttosozialprodukt sind wichtige Indikatoren des materiellen Wohlstands eines Volks.  Insbesondere die Pro-Kopf-Daten oder Daten pro Erwerbstätigen geben allgemein Auskunft über die Entwicklung des Lebensstandards. Steigendes Inlandsprodukt bedeutet jedoch noch nicht, dass die Volkswirtschaft tatsächlich im errechneten Umfang mehr hergestellt hat. Die Steigerung kann ganz oder teilweise auf gestiegene Preise zurückzuführen sein. Das zu tatsächlichen Preisen bewertete Inlandsprodukt nennt man nominelles Inlandsprodukt. Um die Steigerung einer Volkswirtschaft zu erfahren, muss man vom nominellen Inlandsprodukt die Preissteigerungen abziehen. Man spricht dann vom realen Inlandsprodukt oder auch vom Wachstum. In der amtlichen Statistik finden wir dann das gegenwärtige BIP beispielsweise berechnet zu den Preisen von 1995..

1. Auszug aus den gesamtwirtschaftlichen Daten von 1970 bis 2001 (in jeweiligen Preisen) in Mrd. Euro
Statistisches Bundesamt (1970 bis 1990 nur  früheres Bundesgebiet, dann Deutschland):
Jahr
Bruttoinlands-
produkt
Saldo der Primärein-
kommen aus der übrigen Welt
Bruttonational-
einkommen
Abschrei-
bungen
Nettonational-
einkommen
Produktions- und Importab-
gaben abzgl. Subventionen
Volksein-
kommen
Arbeitnehmer-
entgelt
(Inländerent-
gelt)
Unternehmens-
und Vermögens-
einkommen
1970
352,00
0,92
352,92
39,21
313,71
39,00
274,71
184,91
89,90
1975
536,00
0,36
536,36
67,36
469,00
52,15
416,85
305,35
111,50
1980
766,60
2,44
769,04
101,46
667,58
76,55
591,03
444,74
146,29
1985
955,30
5,09
960,39
136,65
823,74
88,27
735,47
531,78
203,69
1990
1274,90
9,61
1284,51
179,18
1105,33
118,12
987,21
689,10
298,11
1995
1801,30
-9,50
1791,80
266,47
1525,33
166,73
1358,60
996,18
362,42
2000
2025,50
-7,64
2017,86
302,53
1715,33
209,52
1505,81
1089,24
416,57
2001
2063,00
-8,43
2054,57
312,21
1742,36
211,25
1531,11
1109,74
421,37

Bruttoinlandsprodukt und Bruttosozialprodukt in Preisen von 1995
Jahr
BIP
BSP
1970
897,00
903,95
1975
1002,80
1007,74
1980
1178,70
1186,90
1985
1249,30
1260,77
1990
1479,60
1494,92
1995
1801,30
1791,80
2000
1968,50
1962,48
2001
1979,60
1972,71

2.  Auszug aus den Pro-Kopf-Daten von 1970 bis 2001 (pro Einwohner/ in jeweiligen Preisen) in Euro:
Statistisches Bundesamt (1970 bis 1990 nur  früheres Bundesgebiet, dann Deutschland)
Jahr
Bruttoinlandsprodukt
Bruttosozialprodukt
Volkseinkommen
1970
5 800
5 800
4 500
1975
8 700
8 700
6 700
1980
12 500
12 500
9 600
1985
15 700
15 700
12 100
1990
20 00
20 300
15 600
1995
22 100
21 900
16 600
2000
24 600
24 600
18 300
2001
25 000
24 900
18 600

und in den Preisen von 1995:
Jahr
Bruttoinlandsprodukt 
Bruttosozoialprodukt
1970
14800
14900
1975
16200
16300
1980
19100
19300
1985
20500
20700
1990
23400
23600
1995
22100
21900
2000
23900
23900
2001
24000
23900

 

5.2. Ländervergleiche

Die Daten der VGR dienen auch dem nationalen oder internationalen Ländervergleich. So können regionale Unterschiede bei der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung innerhalb eines Landes oder einer Wirtschaftsregion (beispielsweise innerhalb der EU) oder weltwirtschaftlich aufgezeigt werden.

Beispiel für nationale Darstellung:
Wirtschaftsleistung in Deutschland 2000, Angaben in DM pro Kopf
Quelle: Statistisches Bundesamt

Beispiel für einen europäischen Ländervergleich (Jahr 2000):
Das BIP pro Kopf ist anhand des BIP in laufenden Preisen berechnet, ausgedrückt in Euro. Es ist also nicht um Preisniveauunterschiede und - im Falle des Vereinigten Königreichs - Wechselkursschwankungen bereinigt. Quelle: www.eurostat.de

Von den vier Ländern hat das Vereinigte Königreich mit 26 500 Euro das höchste Pro-Kopf-BIP zu verzeichnen. Auch Deutschland (25 100 Euro) und Frankreich (24 100 Euro) liegen über dem Durchschnitt, während Italien (21 000 Euro) unter dem Durchschnitt der Eurozone (22 200 Euro) und von 15 EU-Ländern (23 200 Euro) liegt.

Beispiel für einen weltwirtschaftlichen Vergleich:
Pro-Kopf-BIP von 1998 in US-Dollar (Quelle: OECD-Statistiken, erstellt aus Globus-Zahlenbilder des Erich Schmidt Verlages)


Land
Pro-Kopf-BIP
Luxemburg
34540
USA
30510
Norwegen
27500
Schweiz
26580
Kanada
24470
Japan
24110
Deutschland 
22840
Großbritannien
21170
Mexiko
8000
Türkei
6720
Indonesien
3310
Vietnam
1570
Äthiopien
500

Der internationale Vergleich ist schwierig durch Bewertungsprobleme. Außerdem können manche Volkswirtschaften nur sehr ungenaue Daten zu ihrem Inlandsprodukt liefern. So ist kein exakter Vergleich der Wirtschaftsstärken zwischen den Volkswirtschaften möglich.  Aber: Das deutsche VGR gilt international gesehen als sehr zuverlässig.

6. Kritik an der Berechnung der gesamtwirtschaftlichen Leistung
(Kurzfassung der Seiten 73 bis 78 des eingeführten Buches "Volkswirtschaftslehre" aus dem Europa-Verlag)



Anmerkung zur Schattenwirtschaft (Schwarzarbeit)
des Statistischen Bundesamtes in der Presserklärung vom 17. Januar 2002

1. Käufe mit sogenanntem Schwarzgeld sind im BIP erfasst
Die Verwendung von Schwarzgeld, etwa für Käufe von Luxusgütern wie Jachten, Autos, Schmuck, Antiquitäten, Gemälde etc. ist im BIP erfasst. Die verschiedentlich geäußerte Vermutung, mit der Einführung des Euro-Bargeldes wären zum Jahresende 2001 verstärkt DM-Schwarzgeldbestände aufgelöst und vor allem für Käufe von Luxusgütern verwendet worden, ist - wenn sie zutreffen sollte - für die Berechnung des BIP nicht relevant. Mit der Verwendung von Schwarzgeldern fließen diese wieder in die Wirtschaft zurück und schlagen sich dort als Umsatz nieder. Dabei ist für den Verkäufer normalerweise nicht feststellbar und auch nicht von Interesse, ob ein Kauf durch Verminderung von Ersparnissen, durch Auflösung von Schwarzgeldbeständen oder durch Kredite finanziert wird. Anders als die Verwendung von Schwarzgeldern ist deren Entstehung statistisch schwieriger zu erfassen. Aber die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen beziehen auch schattenwirtschaftliche Tätigkeiten ein.

2. Das BIP enthält Schattenwirtschaft
Sowohl nach den Regeln des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG), 2. Auflage 1979, als auch des neuen ESVG 1995 fallen schattenwirtschaftliche Aktivitäten unter den Produktionsbegriff und sind somit in das BIP einzubeziehen. Es sind also auch solche Produktionstätigkeiten im BIP zu erfassen, die illegal ausgeübt werden oder den Steuer-, Sozialversicherungs-, Statistik- oder anderen Behörden verborgen bleiben. Selbstverrichtete Hausarbeit zählt nach internationalen Konventionen in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) nicht zur Produktion.

In der Praxis ergreift das Statistische Bundesamt verschiedene Maßnahmen, um ein möglichst vollständiges BIP zu ermitteln:
- Explizite Zuschläge werden vor allem in den Bereichen vorgenommen, für die nur in größeren zeitlichen Abständen Großzählungen (Handwerks- sowie Handels- und Gaststättenzählungen)vorliegen. Auch für Eigenleistungen am Hausbau oder für Trinkgelder werden Sonderrechnungen durchgeführt.
- Eine implizite Erfassung der schattenwirtschaftlichen Aktivitäten erfolgt vielfach durch die Berechnungsmethode selbst. So wird die landwirtschaftliche Produktion anhand der angebauten Flächen und den jeweiligen Durchschnittserträgen ermittelt. Ebenso werden die Wohnungsmieten anhand des Bestandes an Wohnungen - untergliedert nach Größe und anderen Merkmalen - sowie den jeweiligen Quadratmetermieten errechnet. Inwieweit die so berechneten und in die Größe des BIP eingehenden Einnahmen steuerlich deklariert werden oder nicht, entzieht sich unserer Kenntnis und ist für die vollständige Erfassung derartiger Produktions-
tätigkeiten auch ohne Belang.

Die immer wieder zu hörende Behauptung, das BIP würde die so genannte Schattenwirtschaft nicht umfassen, ist also falsch.

3. Keine getrennte Schätzung der Schattenwirtschaft durch das Statistische Bundesamt
Das Statistische Bundesamt nimmt eigenständige, getrennte Schätzungen der so genannten Schattenwirtschaft in seinen VGR aus folgenden Gründen nicht vor:
- Vorrangiges Ziel für Gesamtrechner ist es, das wirtschaftliche Geschehen nach den Konzepten des ESVG 1995 möglichst vollständig abzubilden. Für die Vollständigkeit des BIP ist die Frage, ob eine Wirtschaftstätigkeit steuerlich erfasst wird oder nicht, ob sie legal oder illegal ist oder sonst im Verborgenen stattfindet irrelevant.
- Es gibt keine internationale Definition für das Schlagwort Schattenwirtschaft. Manchmal wird sie mit Schwarzarbeit gleichgesetzt, ein anderes mal sind Verkauf und Reparatur ohne Rechnungen oder Eigenleistung am Bau in den Begriff einbezogen und manchmal umfasst der Begriff sogar illegale, d.h. strafbare Aktivitäten. Aber auch wenn erhobene Statistiken Abschneidegrenzen
aufweisen, ist dies ein Teil der statistisch nicht erfassten Wirtschaft.
Die über die angewendeten Rechenverfahren implizit erfassten schattenwirtschaftlichen Aktivitäten müssten nachträglich aus dem BIP herausgerechnet werden, ohne dass über deren Umfang entsprechende Informationen vorliegen.

Das Statistische Bundesamt wird daher auch künftig keine getrennte Schätzung der Schattenwirtschaft vornehmen. Da wir Zuverlässigkeit, Objektivität und wissenschaftliche Nachprüfbarkeit für entscheidende Merkmale amtlicher Statistik halten, erscheinen uns amtliche Zahlen über die Schattenwirtschaft als Widerspruch in sich.


7. Erweiterung der VGR
Das Bruttoinlandsprodukt ist ein eindimensionaler Wohlstandsmaßstab, da er sich rein auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bzieht und nur zahlenmäßig direkt erfassbare Größen berücksichtigt. Qualitative Größen wie die Lebensumstände der Bevölkerung oder die Umweltbelastung werden nicht in der traditionellen volkswirtschaftlichen Rechnung erfasst.
Um die Lebensqualität der Bevölkerung errechenbar und vergleichbar zu machen, arbeitet man mit Hilfe sozialer Indikatoren. Dazu gehören dann Größen wie Geburtensterblichkeit, Lebenserwartung, Grad der persönlichen Freiheit, Möglichkeit sozialer Kontakte, humanes Wohnen, Ausmaß der Bürokratie, Chancen der Weiterbildung, Zahl der Krankenbetten, Zahl der Arbeitsunfälle, Zahl der offenen Stellen im Vergleich mit Arbeitslosenzahlen, Berufskrankheiten, usw.
Mit dem "Index der menschlichen Entwicklung" misst die UNO die Lebensqualität der Menschen in aller Welt. Nach dieser Berechnung erhalten Norwegen, die Niederlande und USA einen Index von 93, Deutschland, Dänemark und Österreich 91, Südafrika 70, Russland, Rumänien 77, Brasilien 75, Indien 56, Kenia 51, Äthiopien 31, Sierra Leone 25.
Seit einiger Zeit legt das Statistische Bundesamt eine umweltökonomische Gesamtrechnung vor, die die ökologischen und wirtschaftlichen Folgen erfasst. Mit Hilfe dieser Rechnung soll der Geldwert aller Leistungen (z.B. Rohstoffe, Luft, Wasser) und aller Belastungen (z.B. Ausbeutung der Rohstoffvorräte, Luft- und Wasserverschmutzung) der Natur in einem bestimmten Zeitraum erfasst werden.
 
 

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