E-learning im Fremdsprachenunterricht

Definitionversuch, Methodik und Anwendungsmöglichkeiten: Carlo Ribeca


1.) Definition e-learning.
Was kann unter e-learning im Fremdsprachenunterricht verstanden werden ?


Die definitorische Klärung dieses Begriffs wird konkrete Auswirkung auf die Gestaltung elektronischer Lerneinheiten haben und muss daher vorab erfolgen. Der Begriff e-learning wird derzeit meist recht vage für alle Lernformen verwendet, die in einem Zusammenhang mit dem Lernen an und mit Computern stehen. Ohne Zweifel geht eine solch weite Definition an der Grundidee von e-learning vorbei, da sie beispielsweise auch Aktivitäten wie das Lernen anhand einer Enzyklopädie auf CD-Rom oder das Recherchieren im Internet einbeziehen würde. Den beiden genannten Lernarten kann allerdings nur das Attribut "e-", also elektronisch zugesprochen werden, sie bestehen aber nicht die Kriterien einer modernen didaktischen Lehrkonzeption im Zusammenhang mit durchdachten elektronischen Lernformen.

Beim Gebrauch des Konzeptes e-learning sollten nach meiner Auffassung neben der elektronischen Basis mindestens zwei notwendige inhaltliche Kriterien berücksichtigt werden, nämlich :

a.) Betreute Individualisierung im vorgegebenen Lernprozess und
b.) Interaktivität im Übungsprozess


Das Kriterium der Individualisierung stellt die Eigenaktivität und Eigenständigkeit des Lerners im Erwerbsprozess heraus. Der Schüler entscheidet selbst, welcher Lernzeitpunkt, welches Lerntempo und welche Lernphase für ihn im Erwerbsprozess notwendig ist. Der Prozess ist trotzdem inhaltlich und methodisch insofern gelenkt, als dass das Lernziel der zu bearbeitenden elektronischen Lektion inhaltlich festgelegt und die Lerneinheit methodisch sinnvoll aufgebaut ist. Richtig verstandenes e-learning bedeutet also keineswegs ein unkoordiniertes Herumspielen im Computerraum der Schule.
Es versteht sich von selbst, dass das hohe Maß an Individualisierung der Schüler den Lehrer bei Bedarf in die Rolle des Beraters versetzt. Insbesondere bei technischen Problemen und bei Verstehensschwierigkeiten ist ein Tutor unverzichtbar. Alternativ müssten die Lerneinheiten äußerst simpel und didaktisch redundant konzipiert werden. Um eine hochgradig redundante Lektion mit allzu flacher Progression vermeiden zu können, sollte der Lehrer ständig erreichbar sein und im Verstehensprozess beratend zur Seite stehen. Entweder durch seine physische Präsenz im Computerraum, oder durch Erreichbarkeit via email mit nur kurzer Reaktionszeit.

Besonders interessant für die Übungsphase und für die Ausbildung eines Automatismus im Gebrauch fremdsprachlicher Kategorien erscheint die Möglichkeit, elektronische Aufgaben zu generieren, die den Schülern ein promptes interaktives Feedback liefern. Im Vergleich zu traditionellen Arbeitsblättern bieten elektronische Übungen den Lernern den großen Vorteil unbegrenzt wiederholbar zu sein. Zudem wird der Schüler beim Bearbeiten computergestützter Aufgaben sofort auf seine Fehler aufmerksam gemacht. Ohne Zweifel ist eine reine "true/false" Rückmeldung für den Lerner nur sehr dürftig. Ein Desideratum wäre demnach komplexere Autorenprogramme, bei denen der Lehrer bestimmte Schülerfehler antizipieren könnte, um dann ein entsprechend adäquates Feedback geben zu können. Außerdem ist gerade für den Fremdsprachenunterricht die Möglichkeit, multimediale Objekte in die interaktiven Übungen zu integrieren, eine didaktische Notwendigkeit. Aufgrund der genannten Kriterien könnte für den Fremdprachenunterricht folgende Definition für einem sinnvollen e-learning Ansatz versucht werden.

Definition:
Unter e-learning im Fremdsprachenunterricht versteht man die Implementierung multimedialer computergestützter Lehr- und Lernkonzepte, die anhand interaktiver Aufgabenformen und unter Betreuung des Lernenden eine Individualisierung des Lernprozesses ermöglichen.


Die elektronischen Lerneinheiten sollten also folgende Eigenschaften erfüllen:(1)
  • Die Aufgaben sind interaktiv und bieten den Schülern Rückmeldungen über ihren Leistungsstand.
  • Die Präsentation der Lerneinheiten ist multimedial und audiovisuell.
  • Die Erreichbarkeit eines Lehrers / Tutors soll bei Verstehensschwierigkeiten stets gewährleistet sein.
  • Die Schüler sollen dabei Zugriff auf weitere Datenbanken und Informationsquellen beispielsweise im Internet haben.
  • Die Übungen sind nicht an eine Lernumgebung oder einen Lernzeitpunkt gebunden, sondern sind im Internet immer abrufbar.


2.) Welcher methodische Ansatz wird hier verfolgt ?

Insbesondere die auf dieser Website präsentierten Lerneinheiten zu den grammatischen Kategorien Imperfetto und Passato prossimo verfolgen einen bestimmten methodischen Aufbau, den man in folgende Phasen gliedern könnte:

  • 1.) Präsentation des neuen grammatischen Sprachmaterials anhand eines Textes.
  • 2.) Verstehen der neuen Struktur und sprachliche Reaktion des Lernenden durch das Beantworten von Fragen mit den neuen Strukturen.
  • 3.) Reproduktion der sprachlichen Strukturen um sich mit der Form vertraut zu machen.
  • 4.) Bewusstmachung der grammatischen Regel zu Form und Gebrauch der neuen grammatischen Kategorie.
  • 6.) Übungsphasen.
  • 7.) Integration in bestehendes Wissen und Transfer.


3.) Anwendungsmöglichkeiten von e-learning im Fremdsprachenunterricht

Nach eigener Erfahrung kann der Fremdsprachenunterricht vom Einsatz elektronischer Unterrichtsformen enorm profitieren. Individuelle Schulprojekte konnten den Nutzen dieser innovativen Methode mehrfach belegen. So wurde beispielsweise ein erstes e-learning Projekt zur Einführung des Plurals im Anfangsunterricht einer Italienischklasse der 9. Jahrgansstufe durchgeführt. Dazu erhielten die Schüler einen Klassensatz CD-Roms mit der entsprechenden didaktisch vorbereiteten und an das Sprachniveau der Schüler angepassten Lerneinheit. Die Lerner sollten dann zu Hause selbstständig Form und Gebrauch des Plurals im Italienischen erlernen. Die Betreuung der Schüler durch den Lehrer war stets gegeben. Technische Probleme und Verstehensschwierigkeiten konnten per email oder im regulären Unterricht geklärt werden. Parallel dazu konnte im Schulunterricht im Lehrbuch weiter gearbeitet werden und die produktiven und kommunikativen Skills der Schüler gefördert werden. Um den Lernfortschritt der Schüler zu überprüfen, wurde im Anschluss an das Projekt eine unbewertete und angekündigte Leistungsmessung, die in ihrer Form einer Stegreifaufgabe ähnelte, vorgenommen. Das dabei erzielte Ergebnis war erfreulich. Die Auswertung des Tests zeigte weniger als durchschnittlich zwei Fehler pro Arbeit. Auch im täglichen Unterrichtsgespräch wurde deutlich, dass die Schüler das Lernziel klar erreicht hatten.
Doch nicht alle sprachlichen Fertigkeiten können durch e-learning gleichermaßen im Fremdsprachenunterricht unterstützt und gefördert werden. Es ist offensichtlich, dass elektronisch erzeugte Interaktivität mit dem Lerner immer dann an ihre Grenzen kommt, wenn es gilt produktive und offene Aufgabenformen zu erzeugen. Es wird kein elektronisches System geben, das Kriterien wie Kreativität in Textproduktionen messen und bewerten kann. Ebenso schwierig gestaltet sich der Einsatz computergestützter Unterrichtsformen bei Übersetzung oder Version. Die oftmals absurden Ergebnisse elektronischer Übersetzungsprogramme sind bekannt.

Elektronische Unterrichtsformen können also bei der Unterstützung folgender Fertigkeiten und Unterrichtsaktivitäten besonders gewinnbringend eingesetzt werden:
  • Schulung der rezeptiven Fertigkeiten:
  • Leseverstehen
  • Hörverstehen;
  • Einführung grammatischer Strukturen

  • Einüben grammatischer Strukturen
  • Wortschatzwiederholung und Vokabelabfrage

Aber welche Vorteile birgt der Einsatz computergenerierter Aufgaben für den betreuenden Lehrer? Offensichtlich bedeutet die Einarbeitung in entsprechende Software und Computersysteme zunächst nur erheblichen Mehraufwand. Eine Entlastung ergibt sich erst mittel- und langfristig aufgrund der Stabilität der erstellten Lerneinheit. Sie ist unbegrenzt wieder zu verwenden und kann an Kollegen weiter gegeben werden. Hier bietet sich natürlich an, das Lehrerkollegium als Team von Autoren zu gewinnen, die nach einer grundlegenden Schulung einen elektronischen Aufgabenpool erstellen und so signifikant in der Unterrichtsvorbereitung entlastet werden können. Eine der interessantesten Auswirkungen der Verbreitung von e-learning im Schulunterricht könnte die Erstellung von elektronischen Prüfungsformen sein. Genauso wie das Computerprogramm dem Schüler ein Feedback über seinen Leistungsstand geben kann, kann es auch den Prozentanteil an richtig beantworteten Fragen im Rahmen eines cloze-Tests oder eines Multiple-Choice-Tests automatisch errechnen. Der Lehrer braucht dann nur noch die prozentuale Zielerreichung in eine Notenstufe umrechnen und hat dann innerhalb von Sekunden das Ergebnis beispielsweise einer Lückentext-Stegreifaufgabe zu Present Perfect/Simple Past vorliegen.

Zusammenfassend lassen sich folgende Vorteile eines computergestützten Fremdsprachenunterrichts aufzeigen:
  • 1.) Entlastung des Unterrichts von Grammatikarbeit und Formenlehre zugunsten kommunikativer Unterrichtsformen.
  • 2.) Effiziente Arbeitsform, da die Schüler ihre Lerngeschwindigkeit und den besten Lernzeitpunkt nach den jeweiligen Bedürfnissen selbst bestimmen können.
  • 3.) Die Möglichkeit der selbstständigen und unbegrenzten Wiederholung von Übungen und Regeln berücksichtigt die individuelle Leistungsfähigkeit und garantiert nachhaltige Festigung.
  • 4.) Die Schülerfehler werden sofort korrigiert und Fossilierungen können vermieden werden.
  • 5.) Die Motivation der Schüler wird durch den Einsatz moderner Unterrichtsmethoden und Medien (PC, Beamer, Internet) gesteigert.
  • 6.) Kontinuierliche Rückmeldungen erlauben eine realistische Einschätzung des individuellen Leistungsstandes und ermöglichen gezielte Prüfungsvorbereitung.
  • 7.) Elektronische Übungen eröffnen die Möglichkeit automatisierter Leistungsmessung. Dies impliziert eine erhebliche Entlastung und Beschleunigung bei der Korrekturarbeit.
  • 8.) Zukünftig könnte eine teilweise Verlagerung des Unterrichts nach Hause erhebliche Einsparungspotenziale erzielen.


Trotz der aufgeführten Vorteile, sollte der Einsatz computergestützter Arbeitsformen im Sprachunterricht nicht zum Regelunterricht werden oder den Fremdsprachenunterricht im Klassenzimmer gar ersetzen. Die Schulung der Aussprache, die Verbesserung der Sprechfertigkeit, die Förderung der kommunikativen und sozialen Kompetenz können aber immer dann noch gezielter im Unterricht umgesetzt werden, wenn elektronische Programme die Schulung rezeptiver Skills übernehmen oder bei der Erzeugung eines Automatismus im Gebrauch grammatischer Strukturen helfen können.

Konkrete Anwendungsbeispiele elektronischer Unterrichtseinheiten für den Italienischunterricht finden Sie hier.


© Carlo Ribeca, www.italienisch-online-lernen.de, 04.08.2004


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(1) vgl. dazu auch: Bauer, R./Tillmann P., Einstieg ins E-learning, Nürnberg 2001, S.49ff