SZ vom 28. 10.1999


Das Thema des Tages


Das Biest M 3
Von Helga Einecke

Die Geldmenge M 3 und ihre Bewertung sind für Finanzexperten und Wissenschaftler eine intellektuelle Hausforderung. Hinter dem Begriff verbergen sich Banknoten, Münzen, Guthaben auf Girokonten, Termingelder oder Spareinlagen. Wächst deren Menge schneller als die Summe der Dinge, die man mit Geld kaufen kann, dann sitzt dem Bürgern das Geld lockerer in der Tasche und die Unternehmen können höhere Kosten leichter über höhere Preise weitergeben. Gibt es zu viel Bargeld, so leistet dies der Inflation Vorschub. Dem ist, so die Theorie, mit höheren Leitzinsen zu begegnen. Die Bundesbank, die dieser Theorie über Jahrzehnte anhing, hatte an ihr schwer zu kauen. Sie verfehlte häufig selbstgesetzte Geldmengenziele und musste diese Verfehlungen dann rechtfertigen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich diesem Dilemma entzogen, aber nur halbherzig. Sie setzt keine Geldmengenziele, sondern gibt einen Referenzwert vor, also eher eine schwammige Orientierung. Wenn nun die Geldmenge M 3 in Euroland mit einer Jahresrate von 5,9 Prozent zunimmt und damit weit mehr als der Referenzwert von 4,5 Prozent, dann kann die EZB damit nächst Woche eine Zinserhöhung begründen, sie kann es aber auch lassen. Interpretationshilfe gibt Bundesbankpräsident Ernst Welteke. Er hat öffentlich gemacht, dass die Meinungsbildung im EZB-Rat nicht einheitlich ist. Einige Geldpolitiker sehen in den M3-Daten Inflationspotenzial und plädieren für eine Zinserhöhung, andere sehen noch keine Preisgefahren.
Wer nicht weiß, dass die Europäische Zentralbank ihre Zinssenkung vom April bald zurücknehmen will, der hat nicht aufgepasst. Bereits seit Sommer machen ihre führenden Köpfe auf Preisgefahren aufmerksam und geben damit den Akteuren an den Finanzmärkten eindeutige Signale. Nur den Zeitpunkt und den Umfang der Zinserhöhung lassen sie offen, zu Recht. Denn sie orientieren sich eben nicht nur an dem "Biest M 3", wie Chefvolkswirt Otmar Issing die ausufernde Geldmenge einmal nannte.

Beispielsweise dürften sich viele Unternehmen, Banken und Privatleute wegen des Jahr 2000-Problems liquider halten als nötig. Auch sind die Gewohnheiten und Gepflogenheiten im Umgang mit Bargeld innerhalb des Europaraums unterschiedlich. Schließlich locken niedrige Zinsen nicht in längerfristige Anlagen. Neben der Geldmenge M 3 sind es vor allem frühe Preisindikatoren, die das Zinsbild abrunden müssen. In diese Rubrik fallen die Verteuerung des Rohstoffs Öl, aber auch Signale aus Lohnverhandlungen oder staatliche Preisdiktate.
 
 
 

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