Aus der SZ :
(genaues Datum nicht mehr feststellbar; Verfasser unbekannt)

Glaubenskriege

Besteht hinsichtlich der anzustrebenden wirtschaftspolitischen Ziele weitgehend Übereinstimmung, so läßt sich dies hinsichtlich der zu ihrer Erreichung anzuwendenden Maßnahmen und Methoden leider keineswegs behaupten - da toben vielmehr echte Glaubenskriege.

Die Keynesianer (der britische Nationalökonom John Maynard Keynes hatte angesichts der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren die mangelnde Massenkaufkraft als Hauptschuldigen der damaligen Misere ausgemacht) bleiben unbeirrt beim Kaufkraftargument, wenn es um die Ankurbelung der Wirtschaft geht.  Sie sehen in Lohnerhöhungen und - als Ersatz für die mangelnde private Nachfrage - staatlichen Ausgabenprogrammen das Allheilmittel für die Bekämpfung einer Rezession, und zwar auch um den Preis einer wachsenden Staatsverschuldung (also Deficit Spending im Rahmen einer antizyklischen Fiskalpolitik).

Die Anhänger der Angebotsheorie glauben ganz im Gegenteil, daß wegen der Kosteneigenschaft der Löhne nur diesbezügliches Maßhalten zu-sammen mit einer generellen Förderung der Bedingungen für erfolgreiches Wirtschaften - ins-besondere die Einschränkung und Rückführung staatlicher Aktivitäten den Weg aus der Krise (Say'sches Theorem: Das Angebot schafft sich seine Nachfrage") ermöglicht.  Im Grunde stellt eine angebotsorientierte Wirtschaftsstrategie eine Rückbesinnung auf die Maximen der klassi-schen liberalen (Jean-Baptiste Say, Adam Smith) bzw. neolilberalen (Freiburger Schule) Wirtschaftstheorie dar: in der Flaute durch Stärkung der Marktkräfte - über die Multiplikatorwirkungen - Herbeiführung eines "sich selbst tragenden Aufschwungs“ bzw. umgekehrt durch erschwerte Rahmenbedingungen eine Dämpfung der Wirtschaftstätigkeit bei drohender Überhitzung.

Für die Überwindung einer Rezession besagt auf einen kurzen Nenner gebracht die Nachfragetheorie "höhere Lohnquote und Staatsausgaben als Ersatz für die in der Krise fehlenden Marktkräfte“, die Angebotstheorie "niedrigere Lohnquote und Staatsausgaben zur Förderung der in der Rezession beeinträchtigten Marktkräfte“.  Noch kürzer: Mehr „Staat, weniger Markt“ steht gegen „weniger Staat, mehr Markt“.

Da die Angebotstheorie auf Kräftigung der dem Markt innewohnenden Kräfte setzt, musssie konsequenterweise auch versuchen, einen ganz wesentlichen Teilbereich, den Arbeitsmarkt, wieder funktionsfähiger zu machen, also den ihn regelnden Preismechanismus - den Lohn - stärker zum Tragen zu bringen.  Dies geht, weil die Löhne in den Industrieländern praktisch nach unten fixiert sind, nur in Grenzen über den Preis der Arbeit, indem man den Lohnanstieg abbremst: Die Reallöhne müssen weniger steigen als die Produktivität, damit die Lohnquote sinkt.  Unmittelbarer beschäftigungswirksam ist es jedoch, die relativen Kosten des Faktors Arbeit zu senken, indem man seine Ergiebigkeit erhöht - Stichworte Lohndifferenzierung, Arbeitsflexibilisierung und -mobilisierung.

Weiteres wesentliches Postulat einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik ist der Abbau der Staatsverschuldung, da hohe Haushaltsdefizite einen umfangreichen Schuldendienst (im Bundeshaushalt 1995 bereits jede fünfte Mark!) erfordern, der tendenziell die Zinsen treibt und Kapital blockiert, das sonst für private Investitionen zur Verfügung stünde (= Crowding out).

Der jahrzehntelange große Erfolg der Keynes'schen Theorie liegt weitgehend darin begründet, dass sie im Gegensatz zur klassischen Lehre - ein gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht bei jedem Beschäftigungsstand - also auch bei Unterbeschäftigung - für möglich hält.  Erst die negativen konjunkturpolitischen Erfahrungen der 60er und 70er Jahre - ständige Stop-and-go-Politik, da man die zeitliche Verzögerung der Wirkung von Interventionen ins Marktgeschehen nicht oder falsch einschätzte und dadurch laufend über- bzw. unterdosierte - stellten die Anwendbarkeit nachfrageorientierter Rezepte in Frage.

Das Bemühen, die gesamte Nachfrage dem gesamten Angebot durch antizyklische Globalsteuerung anzupassen, endete in der Rezession von 1974/75; allerdings muß diese auch im Zusammenhang mit dem Kostenschub aus dem ersten Ölpreisschock (1973) und den damaligen Währungsproblemen gesehen werden.  Es kamen Forderungen nach Investitionsenkung (Stichwort heute: Industriepolitik), also nach - negativer - Beeinflussung der Angebotsseite, auf.

Da die Versuche, die konjunkturellen Ausschläge abzuflachen, nachgerade das Gegenteil bewirkt hatten, sollte nun die Wirtschaftspolitik nicht mehr an den kurzfristigen Konjunkturphasen, sondern an den längerfristigen Trends ausgerichtet werden.  Das theoretische Konzept hierfür bietet der Monetarismus (Milton Friedman/Chicagoer Schule), der einen beherrschenden Einfluß der Geldversorgung auf die gesamtwirtschaftlichen Abläufe unterstellt und der deshalb die Verstetigung des Geldmengenwachs-tums als entscheidende Voraussetzung für stetiges Wirtschaftswachstum bei stabilen Preisen ansieht: Die Geldmenge steckt sozusagen den Spielraum für die wirtschaftlichen Aktivitäten ab.  Auch die Geldmengensteuerung ist der neoklassischen Volkswirtschaftslehre zuzuordnen, läßt sie sich doch durchaus mit frühklassischen Geld-Quantitätstheorien in Verbindung bringen.

Die Bundesbank setzt seit Dezember 1974 Geldmengenziele fest, zunächst als einfache Zuwachsrate, seit 1979 als "Zielkorridor'.  Die Zielgröße für die Geldmenge (M = Menge) ergibt sich aus dem von der Bundesbank erwarteten Zuwachs an Produktionspotential (=Potentialorientierung) zuzüglich dem von ihr unterstellten ("unvermeidlichen“) Preisanstieg, unter Berücksichtigung der Geschwindigkeit des Geldumlaufs (denn eine höhere Umlaufgeschwindigkeit wirkt wie eine Erhöhung, eine geringere wie eine Reduzierung der Geldmenge).

Zeitweilig - insbesondere Anfang 1994 am Ende der Talsohle des jüngsten Konjunkturzyklus - ist die Bundesbank wegen anhaltender starker Überschreitung der Geldmengenziele heftig kritisiert worden - aber wohl zu Unrecht, wenn man die Preisentwicklung als Erfolgsmaßstab ansetzt: Da sich seit 1992 die Inflationsrate trotz extremer Belastung der deutschen Volkswirtschaft durch die Wiedervereinigung kontinuierlich nach unten bewegt hat, dürften bei der Geldmenge tatsächlich - wie von den Währungshütern reklamiert - diverse Sonderfaktoren das Abheben vom Pfad der geldpolitischen Tugend bewirkt haben.  Im übrigen hat die Bundesbank schon einmal bewiesen, dass sie, von ihrem Weg überzeugt, sich nicht beirren läßt: Auch in den 70er Jahren geriet sie mit ihrer Maxime Stabilität vor Wachstum national und international ins Sperrfeuer der Kritik - heute sind (nach bitteren Erfahrungen!) alle Industrieländer auf diesen Kurs eingeschwenkt.

Die Kombination von Geldmengensteuerung durch die - unabhängige - Notenbank und Angebotspolitik durch die Regierung stellt nach heutigem Kenntnisstand wohl die wirksamste, auf eine längerfristig optimale Ressourcennutzung abzielende Wirtschaftspolitik dar: Die Marktkräfte sollen nicht unnötig reguliert und durch ständige Eingriffe gestört, wohl aber der für ihr Zusammenwirken bestmögliche Rahmen geschaffen und Anreize für eine vermehrte Wirtschaftstätigkeit gegeben werden.  Konjunkturelle Schwankungen werden zwar nicht beseitigt, aber gedämpft, und der soziale Ausgleich wird durch stabile Preise gefördert - denn es gibt kaum etwas Unsoziale-res als Inflation.

Auf längere Sicht wird auch die Beschäftigung wachsen, wenngleich Kritiker hier bislang eine Schwachstelle sehen.  Freilich, ohne Lohnmäßigung wird sich der Arbeitsmarkt nur begrenzt bessern, wird sich die hohe Sockelarbeitslosigkeit kaum verringern - den Zusammenhang zwischen Produktivität, Löhnen, Verteilungsspielräumen und Beschäftigung negieren heißt gegenüber vier Millionen Menschen ohne Job verantwortungslos handeln.  Im übrigen haben andere Konzepte bisher erst recht keine Glanzleistungen ermöglicht, und Angebotspolitik kombiniert mit Geldmengensteuerung hat eben einen langen Atem.
 
 
 

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