SZ vom Samstag/Sonntag, 27./28. Januar 2001:
Die Themen der Woche
Keynes in Amerika
Von Mare Hujer

Es ist, als habe man eine Horde Republikaner losgelassen, denen man während acht Jahren Gefangenschaft ihre einzige Freude genommen hat: das Steuersenken. Kaum sind sie an der Macht, gibt es für sie kein wichtigeres Thema. Insgesamt 1,6 Billionen Dollar möchte der neue Präsident George W. Bush per Steuersenkungen in den nächsten zehn Jahren verteilen, am liebsten aber noch mehr und auch noch schneller. Seitdem er Präsident ist und ihm deshalb immer seltener widersprochen wird, denkt er laut über noch waghalsigere Schritte nach und das, obwohl er den Demokraten zuvor doch Entgegenkommen zugesichert hat.
Im Überschwang ist die Vernunft verloren gegangen. Die jüngste Rede von Notenbankenchef Alan Greenspan vor dem Haushaltsaussehuss hat daran nichts geändert, eher hat sie die letzten Mahner verschreckt. Für die Republikaner waren es erst die angeblich drohende Rezession, die Steuersenkungen unausweichlich machte. Dann war da der Notenbankenchef, der mit seiner Zinssenkung Anfang Januar quasi einen Hilferuf ausgestoßen haben soll, die Politik möge doch mit Steuersenkungen assistieren. Zuletzt vereinnahmte Bush sogar die Energiekrise in Kalifornien und die steigenden Ölpreise als Argumente dafür, dass Steuersenkungen der einzige Ausweg für das steuergeplagte Amerika seien. Ein paar Experten haben zwar empört widersprochen, aber - wie der Ökonomie-Professor Paul Krugman - süffisant bemerkt: Zu viele Ökonomen hoffen noch auf einen Job in Washington.

Tricks von Bush
Was selbst einige Republikaner zu erzürnen vermag, ist die populistische Höchstleistung Bushs, sich der verhassten ökono- mischen Theorie der Linken, des Keynesianismus, zu bedienen. Bushs Steuerkonzept war geboren aus der konservativen Freiheitsideologie, die den Ein-zelnen zum besten Verwalter seines Einkommens und Vermögens macht. "Es ist Euer Geld", hatte Bush den Leuten im Wahlkampf zugerufen, "und nicht das des Staates." So begründete er noch vor wenigen Wochen seine Steuerpohtik, die aber keinen rechten Anklang fand. Kaum zeigte die Volkswirtschaft jedoch erste Schwächen, interpretierte Bush sein Steuersenkungspaket in ein keynesianisches Nachfrageprogramm um. Das Steuersenkungsprogramm bezeichnet er nun als "Versicherung gegen den Abschwung", und sein Chefökonom, im Weißen Haus, Laurence Lindsay, behauptet, vordringlich wäre es nun, den Konsum anzukurbeln, indem man den Bürgern Steuererleichterungen gewähre.
Was aussehen mag wie die Renaissance des Keynesianismus in Amerika, ist es jedoch nicht. Erstens wird die Bushregierung ihre Steuersenkungsphilosophie sofort ändern, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht und das könnte schon in ein paar Monaten der Fall sein. Zweitens macht selbst die aktuell gültige Version dem modernen Keynesianismus keine Ehre. Selbst die Leute die an die Kraft der Nachfrage als Mittei zur Konjunkturbelebung glauben, sehen keinen Sinn in einem so kurzfristig angelegten Programm. Greenspan hat in seiner aktuellen Rede zu Recht auf historische Erfahrungen unter Präsident Gerald Ford verwiesen, dessen Steu-erpolitik erst wirkte, als die Wirtschaft schon lange keine Hilfe mehr brauchte. Bushs Steuersenkungen würden frühestens 2002 wirksam werden, wenn die gegenwärtige Flaute längst vorüber sein könnte. Keynesianische Nachfrageprogramme mögen bei nachhaltigen Krisen sinnvoll sein, bei vorübergehenden Schwächephasen kommen sie immer zu spät.

Kurswechsel von Greenspan
Greenspan durfte bisher zugute gehalten werden, dass er sich nicht eingelassen hat auf den platten Bush'schen Keynesianismus. Ebenso wenig übrigens Bushs neuer Finanzminister Paul O'Neill, der Ideologen nicht mag, schon einmal eine Steuererhöhung gefordert hat und das Bindeglied der neuen Regierung zum Notenbankchef sein soll. Greenspan jedenfalls wollte von einer schnel-len Konjunkturhilfe nichts wissen, wohl auch mit Rücksicht auf die eigene Position, weil dafür nach herrschen-der Meinung noch immer die Notenbank mit ihrer Zinspolitik zuständig ist. Dennoch: Auch Greenspan hat jetzt einen Wandel vollzogen, der weniger ökonomisch, denn politisch durch den Machtwechsel begründet ist.
Es gibt kein einziges neues sachliches Argument, warum Greenspan seine Meinung zwischen Dezember und Januar hätte ändern sollen. Dass der Budgetüberschuss vielleicht etwas größer ausfällt als vor kurzem noch gedacht, ist weder neu (weil die Prognosen die letzten Jahre dauernd nach oben verschoben wurden) noch ändert es etwas an der Frage, welches Ziel Priorität hat: die Entschuldung oder Steuersenkungen. Dennoch hat Greenspan jetzt die Prioritäten verschoben. Der Republikaner ist lange genug in der Politik tätig, um zu wissen, dass er Bush mit seiner Rede freie Bahn geschaffen hat, die Steuersenkungen als wichtigstes politisches Projekt zu etablieren.
Mit seiner neuen, keynesianisch angehauchten Steuerphilosophie hat Bush zudem ein wirksames Mittel entwickelt, die noch skeptischen Demokraten für seine Steuerpläne zu begeistern. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Wettbewerb der Abgeordneten um Steuersenkungsforderungen beginnt. Ein kritischer, unabhängiger Notenbankchef wäre dann nötiger denn je.
 
 

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