SZ vom 27./28.01.2001:

Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik
 Wenn der Anreiz zur Arbeit fehlt
     Voraussetzung für einen Niedriglohn-Sektor ist eine Reform des bestehenden Sozialhilfe-System
Von Helmut Maier-Mannhart


Die Diagnose ist eindeutig, die Therapie lässt auf sich warten. In Deutschland gibt es ein strukturelles Arbeitsmarktproblem, das kein Konjunkturaufschwung lösen kann. Es besteht darin, dass sich die Anforderungen an die Arbeitnehmer im Informations- und Kommunikationszeitalter in weit stärkerem Maß gewandelt haben als deren Qualifikation. Das Ergebnis lässt sich in der Arbeitsmarktstatistik ablesen. Während der Bedarf an Fachkräften in manchen Branchen nicht mehr befriedigt werden kann, kommt der Abbau der Arbeitslosigkeit in dem großen Segment der minder Qualifizierten kaum voran.

Vorschläge, wie dem abzuhelfen wäre, gibt es. In seinem Jahresgutachten hat sich der Sachverständigenrat sehr dezidiert dazu geäußert. Ein wesentlicher Punkt ist danach die Lohnstruktur, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht verändert hat. Dies ist, wie die Fünf Weisen ausführen, deshalb ein Problem, weil die zementierte Lohnstruktur einem tiefgreifenden strukturellen Wandel in der Volkswirtschaft entgegensteht, bei dem sich die Be-schäftigung von Arbeitskräften zu Ungunsten der weniger Qualifizierten verschiebt.

Bei diesem Befund ist die Ursache der hohen Arbeitslosigkeit schnell entschlüsselt. Ein Unternehmen schafft nur dann neue Arbeitsplätze, wenn die Wertschöpfung ihrer Inhaber größer ist als die Kosten, die dadurch entstehen. Bei gering qualifizierten Bewerbern aber geht diese Rechnung nicht auf; sie sind auf der Basis der bestehenden Lohnstruktur zu teuer. Deshalb empfehlen die Sachverständigen eine stärkere Lohndifferenzierung, was konkret eine Lohnsenkung bis zu dem Punkt bedeutet, an dem Nachfrage nach diesen Arbeitskräften entsteht. An der Stelle jedoch taucht ein Phänomen auf, das den Prozess unterbricht. Es ist die Sozialhilfe, die in ihrer heutigen Form eine Lohnuntergrenze bildet, jenseits derer kaum jemand geneigt ist, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Damit aber stößt der Versuch, minder Qualifizierte auf dem Weg über eine marktwirtschaftliche Lohnfindung in Arbeit und Brot zu bringen, an Grenzen.

Nicht die Sozialhilfe an sich, sondern wie sie konzipiert ist, dass sie wie ein Mindestlohn wirkt, hält denn auch der Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, für die Hauptursache des deutschen Arbeitslosen-problems. In einer Ifo-Veröffentlichung bezeichnet er deshalb die Reform der Sozialhilfe als das wichtigste Element einer auf Abbau der Arbeitslosigkeit zielenden Arbeitsmarktpolitik. Sein Rezept: "Statt das Geld unter der Bedingung der Untätigkeit auszuzahlen, kann man es auch unter der Bedingung auszahlen, dass der Betroffene selbst ein Markteinkommen erwirbt, sofern keine unabweisbaren sozialen oder medizinischen Indikationen vorliegen, die eine Erwerbstätigkeit ausschließen".

Blick nach Übersee

Womit wir wieder bei der stärkeren Lohndifferenzierung wären. Löhne für geringer Qualifizierte, die unter der Sozialhilfe liegen und damit die Beschäftigung fördern können, sind aber nur dann zumutbar, wenn sie mit staatlichen Mitteln über das Existenzminium hinaus aufgestockt werden, welches die Sozialhilfe beschreibt. Grundsätzlich falsch ist es jedoch, Unterstützung zu gewähren, wenn kein Arbeitseinkommen vorliegt, und sie in dem Maß zu kürzen, in dem eigenes Einkommen erzielt wird. Hier nun regt Sinn an, nach dem Vorbild der USA zu verfahren, wo mit einem Programm namens Earned Income Tax Credit (EITC) seit den siebziger Jahren Erfahrungen vorliegen. Wer dort ein Einkommen zwischen 7000 und 12 000 Dollar jährlich erzielt, der bekommt 4000 Dollar in Form einer Art negativer Einkommensteuer vom Staat ausbezahlt, darunter und darber sinken die Zuschüsse. Dies mag bei einem Einkommen von weniger als 7000 Dollar verwundern, doch soll damit verhindert werden, dass Leistungsbezieher lediglich Teilzeit arbeiten und so zu wenig zu ihrem eigenen Unterhalt beitragen. Ein ähnliches System will Finnland demnächst einführen.

Für den Münchner Ökonomieprofessor wird mit einer solchen Regelung der fundamentale Konflikt zwischen dem angestrebten Existenzminimum und der privatwirtschaftlichen Beschäftigung aufgehoben; die Menschen sind bereit, zu niedrigem Lohn zu arbeiten, weil sie erst durch den Nachweis des selbst verdienten Geldes sozialhilfeberechtigt werden. Allerdings müsste ein solches System finanziell besser ausgestattet sein als in den USA, wo trotz EITC das Problem der Working Poor nicht gelöst ist, also jener Geringverdiener, die nicht über die Armutsgrenze kommen.

Auf Grund der Erfahrungen in den USA laufen die arbeitmarktpolitischen Ansätze in einigen Bundesländern in die falsche Richtung. Mit Hilfe von Lohnkostenzuschüssen oder der staatlichen Übernahme von Sozialabgaben wird dort versucht, die Kosten für den Arbeitsplatz und damit die Eintrittsschwellen für Langzeit-Arbeitslose zu senken. Der wichtigste Ansatz kommt dabei unter die Räder, nämlich Anreize für die Betroffenen zu schaffen, auch bei niedriger Entlohnung sich wieder in den Erwerbsprozess einzugliedern.
 
 
 
 

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