www.archiv.zeit.de/daten/pages//200013.oelpreis-.html - 23. März 2000

Viel Geld für Öl
Wenn sich die OPEC nächste Woche gegen eine Preissenkung entscheidet,
ist die Weltkonjunktur in Gefahr
Von Jürgen Krönig

    Wie dramatisch sich das Bild gewandelt hat. In den neunziger Jahren nahm kaum noch jemand außerhalb der Ölindustrie Notiz von der Opec.  Ihre Treffen waren belanglose Randereignisse im ökonomischen Weltkalender.  Doch inzwischen wird der Ölpreis wieder heiß diskutiert, und zwar längst nicht mehr nur von erbosten Autofahrern, die über die hohen Benzinkosten fluchen, oder von kleineren Fluggesellschaften, die um ihr Überleben fürchten.

     Ob Zentralbanker, Unternehmer oder Regierungsvertreter, sie alle schauen mit spürbarer Sorge auf die Zusammenkunft der elf Opec-Staaten am 27. März in Wien.  Dort will das Ölkartell entscheiden, wie weit es den Ölhahn wieder aufdrehen soll, nachdem es in den vergangenen 15 Monaten der Welt durch eine konzertierte Drosselung der Produktion einen Preisschock bescherte.  Von Januar 1999 bis heute ist der Preis für ein Fass Rohöl von 10 auf bis zu 32 Dollar hochgeschnellt.  Das ist laut dem Center for Global Energy Studies die zweithöchste Steigerung seit 1973.

     Doch diesmal, das ist das Neue an dem Preissprung, sind weder Kriege in Nahost noch eine iranische Revolution der Auslöser, sondern allein ökonomisches Kalkül.  Nicht Alan Greenspans Federal Reserve, der Internationale Währungsfonds (IWF) öder die europäische Zentralbank (EZB) haben zurzeit den größten Einfluss auf Inflation und globales Wachstum - es liegt weitgehend an der Opec, ob den Hoffnungen auf eine weiterhin günstige Weltkonjunktur und fortdauernde Preisstabilität ein abruptes Ende bereitet wird oder nicht.

     Als die Opec, unterstützt von Nichtmitgliedern wie Norwegen, im Januar 1999 den Beschluss fasste, die Produktion zurückzufahren, wurde dies im Westen weit-hin als bedeutungslos abgetan.  Das britische Wirtschaftsmagazin The Economist sagte gar kühn voraus, der Fasspreis werde auf fünf Dollar sinken.  Schließlich hatten sich die Ölländer in der Vergangenheit stets als notorisch uneinig erwiesen und im Streit um Marktanteile die Welt mit dem schwarzen Gold förmlich überschwemmt. Warum sollte es ausgerechnet diesmal anders kommen?  An den Börsen schnellten Internet Aktien in schwindelerregende Höhen, die Märkte starrten fasziniert auf die Verheißungen der "neuen Ökonomie".  Die langfristige Sicherung der Energieversorgung rutschte auf der Prioritätenskala nach unten.

      Wenn die Rede aufs Öl kam, beruhigte man sich mit dem Hinweis, dass die Abhängigkeit der Industriestaaten vom schwarzen Gold drastisch gesunken sei.  Wirtschaftliche Verwerfungen durch einen höheren Ölpreis seien nicht zu befürchten.  Ersteres stimmt bis zu einem gewissen Grade.  Die Abhängigkeit vom Öl hat sich vor allem im Westen mit seinen stärker von Dienstleistungen geprägten Volkswirtschaften verringert.Öl besitzt nicht mehr die alles überragende Stellung wie noch vor 20, 30 Jahren.

     Doch ist es bedeutend genug geblieben, um jetzt in den Industriestaaten die Alarmglocken schrillen zu lassen.  Denn die Gefahr, dass die Preisentwicklung die Weltwirtschaft aus der Balance bringt, wächst: Ein hoher Ölpreis heizt die Inflation an, das wiederum führt zu höheren Lohnabschlüssen und zwingt die Zentralbanken zu Bremsmanövern.  Am Ende der Kette könnte es zur kunjunkturellen Abflachung, schlimmstenfalls sogar zu einer Rezession kommen.

     Alan Greenspan, Chef der amerikanischen Zentral-bank, warnte bereits in düsteren Worten vor der "nachhaltigen, negativen Wirkung" eines hohen Ölpreises auf Weltkonjunktur und Wachstum.  In den Vereinigten Staaten stieg der Konsumpreisindex im Februar deutlich stärker als erwartet um 0,5 Prozent nach oben.  Die EZB hat bereits auf die Entwicklung an der Ölfront reagiert.  Sie begründete die jüngste Zinserhöhung ausdrücklich mit dem Anstieg des Rohölpreises und beunruhigenden inflationären Tendenzen in den Mitgliedsstaaten der Währungsunion.  EZB-Präsident Wim Duisenberg fühlte sich bemüßigt, vor einer Lohn-Preis-Spirale zu warnen, die zu noch drastischeren Entscheidungen zwingen könnte.

     Auch Rolf Peffekoven, Mitglied des Sachverständigenrates, rechnet in diesem Jahr für die Bundesrepublik mit einer Inflationsrate von "1,5 bis 2 Prozent" gegenüber lediglich 0,5 Prozent 1999 und verweist darauf, dass es in der Eurozone bereits Länder gebe, deren Inflationsrate über 2 Prozent und damit über dem "Referenzwert zur Stabilität" liege; das sei zum größten Teil die Folge des gestiegenen Olpreises.

"Große Gefahr einer konjunkturellen Dämpfung"

     Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sieht man für das nächste Jahr die "große Gefahr einer konjunkturellen Dämpfung", wie Gustav Adolf Horn, Leiter der Konjunkturabteilung betont, "zumal dann, wenn die Konjunktur in Asien oder Amerika einbrechen sollte".  Sein Urteil deckt sich mit dem anderer Experten.  Andrew Oswald, Professor an der Universität Warwick in England, weist in einer Untersuchung mit dem Titel ls Recession 2000 in the Pipeline? nach, dass ein Anstieg des Olpreises regelmäßig mit einer Zeitverzögerung von rund 18 Monaten zu Wachstumsrückgang und höherer Arbeitslosigkeit geführt habe.  "Historisch ist ein scharfer Anstieg der Energiekosten unser bester Früherkennungsindikator für einen kommenden Abschwung".  Klar ist eins: Der derzeitige Fasspreis von 30 Dollar liegt bereits deutlich über der Gefahrenmarke.  Für die Vereinigten Staaten, den Motor der Weltwirtschaft, würde dieses Preisniveau einen Rückgang des Bruttosozialproduktes um 0,8 Prozent bedeuten, Die Schwellenländer, die noch sehr viel stärker auf energieintensive Industrien ausgerichtet sind, würden noch härter getroffen.

     Rolf Peffekoven weist zudem auf ein deutsches Spezifikum hin: Der Ölpreiseffekt werde verstärkt durch die Ökosteuer.  Wenn man im Inland durch Steuern die Preise zusätzlich hochtreiben "ist das eine Einladung für die Ölländer, ihrerseits die Preise hoch zu halten".  Hinzu komme das "Hochschleusen" des Ölpreises durch den niedrigen Euro-Kurs.  Peffekoven kritisiert die "gewisse Sorglosigkeit", mit der man sich in der Europäischen Währungsunion mit einem schwachen Euro abfinde.  "Wenn man dem lange tatenlos zusieht, wird man so Preissteigerung und Inflation importieren.  Eine Wäh-rung kann auf Dauer nicht nach innen stark und nach außen schwach sein."

     Nun hofft alle Welt, die Opec werde ein Einsehen haben und das Öl wieder reichlicher sprudeln lassen.  Amerikas Energieminister Bill Richardson hat auf seiner Tour durch die Golfregion eindringlich gemahnt, das Wohl der Weltwirtschaft und die eigenen Interessen nicht aus dem Auge zu verlieren.  Ohne ein reichlicheres Ölangebot drohe eine globale Rezession, mit Schaden für alle, Verbraucher wie Produzenten.  Danach gaben sich SaudiArabien, Kuwait und die Emirate konziliant.  Aus Riad wurde signalisiert, es habe sich ein Konsens herausgebildet, die Förderung "signifikant zu erhöhen".  Doch ob die Tauben in der Opec einen zusätzlichen Ausstoß von zwei Millionen Fass pro Tag durchsetzen können, den die westlichen Industrienationen für unabdingbar halten, um das weltwirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen, ist fraglich. Denn die Opec-Falken stemmen sich gegen eine allzu großzügige Kurskorrektur.  Der Iran ist auf die Einnahmen auf der Basis des derzeitigen Preises.angewiesen - 85 Prozent des Haushaltes werden aus Ölgeldern finanziert.  Ein Preisverfall würde die eigenen Finanzen ruinieren.  Der Irak betreibt ohnehin seit langem eine Verweigerungsstrategie und verfolgt voll Freude die Ölsorgen des Westens.  Alle, ob Tauben oder Falken, eint ein Interesse: Sie wollen einen steilen Preissturz vermeiden.  Eine Feinsteuerung des Rohölpreises aber ist ungeheuer schwer - das macht die Entscheidung der Opec so heikel.  Denn nicht nur fundamentalistische Kreise im Nahen Osten sind der Meinung, das eigene Öl sei dem Westen bereits viel zu lange allzu billig verkauft worden.

Die Welt hängt am Tropf der Scheichs

     Diese Einschätzung gewinnt jetzt an Gewicht, da sich die Ölstaaten der Region ihres geostrategischen Vorteils bewusster geworden sind.  Immerhin verfügen sie über 90 Prozent der Ölreserven der Welt.  Sie wissen, dass die lndustriestaäten mehr denn je auf diese Ressourcen angewiesen sind.  Die Welt hängt im wahrsten Sinne des Wortes am Tropf der Scheichs.  Denn nach Angaben der Internationalen Energieagentur befinden sich die Lagerbestände an Öl weltweit auf einem 20-jährigen Tiefststand.  In Amerika, wo spottbilliges Benzin als eine Art Grundrecht betrachtet wird, ist der Preis für eine Gallone Benzin (4,5 Liter) mittlerweile über die Zwei-Dollar-Grenze geschnellt.  Das hat nicht nur wütende Proteste von Lkw-Fahrern, sondern auch die Forderung ausgelöst, die Regierung möge die strategische Ölreserve von 567 Millionen Fass anzapfen, um der Opec einen Schuss vor den Bug zu geben.  Die Hardliner würden nur diese Sprache verstehen.  Washington aber winkt ab.  Die Reserve, angelegt nach dem Ölpreisschock 1974, sei nur für wirkliche Versorgungsengpässe vorgesehen.  Zurzeit gebe es nur ein Preisproblem.

     Die Ölstaaten dürften solche verhaltenen Drohungen ohnehin kalt lassen.  Handelten sie auch künftig gemeinsam, könnten sie in Zukunft Preise und Mengen kontrollieren, sagt Manfred Horn vom DIW.  Der Wissenschaftler betont, dass es in den westlichen Industriestaaten eine weit verbreitete Tendenz gebe, kurzfristige Erfahrungen fortzuschreiben und Wendepunkte zu übersehen, nicht nur in Medien und Politik, sondern auch in der Wissenschaft.  Dass sich 1999 etwas fundamental verändert habe, sei "schwer zu vermitteln gewesen".  Horn sieht im derzeitigen Ölpreisanstieg mehr als nur eine vorübergehende Episode, der bald schon wieder Zeiten des Oberflusses und sinkender Preise folgen werden.  Auch beim Bundesverband der Deutschen Indust-rie (BDI) sieht man, dass sich, in den Worten von Wolf-gang Mülkens, die "fundamentalen Werte" klar zuguns-ten der Opec verschoben haben.  Nach früheren Ölpreis-schocks hätte man auf Felder außerhalb der Opec aus-weichen können.  Das sei nun im notwendigen Umfang nicht länger möglich.
 
     In den nächsten Jahren jedoch wird die Nachfrage weltweit weiter wachsen, gerade auch in den asiatischen Schwellenländern, die sich aus der Krise hochzurappeln beginnen.  Der Wunsch nach Mobilität per Pkw wird global immer größer (die Vorstellung, dass beispielsweise China vom Autofieber erfasst werden könnte, treibt Think Tanks in Washington und dem Pentagon schon seit Jahren um).  Zugleich verbieten es die CO2-Strategien der Industrieländer eigentlich, Öl durch fossile Energieträger wie Kohle, Braunkohle und Ölsand zu ersetzen.  Gleichzeitig verliert die Kernenergie an Boden.  Insgesamt ergibt sich daraus ein Dilemma: "Alle verfügbaren Alternativen im fossilen Bereich sind weitaus schmutziger als das Öl", sagt Manfred Horn vom DIW.  Wenn man die Maßnahmen gegen die Aufheizung der Atmosphäre wirklich ernst meine, müsste auf einen fossilen Ausweg aus Ölverknappung und -verteuerung eigentlich verzichtet werden.  Die Folge: Mittelfristig wird der Einfluss der islamischen Ölstaaten weiter wachsen.  Die Machtverschiebung zugunsten der Nahoststaaten "kann man nicht wegdiskutieren", sagt Rolf Peffekoven.  Zwar sei die Abhängigkeit reduziert, aber nach wie vor seien wir "erstaunlich abhängig vom Öl".
 
 
 

zurück zur Artikelübersicht
zum Lerninhalt
zurück zur Übersicht 13. Klasse